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Der Fall WikiLeaks

 

Die aktuellen Geschehnisse um die Internet-Plattform „Wikileaks“ sind definitiv ein Symptom der aktuellen Krise. Hier zeigt sich, wie sehr das aktuell noch bestehende  aber zunehmend instabil werdende politisch-wirtschaftliche System bereit ist, seinen Fortbestand durch Maßnahmen zu verlängern, die jeder Diktatur würdig wären: Beschränkung der Pressefreiheit, geheimdienstliche Methoden zur persönlichen Zerstörung von unliebsamen Aktivisten, direkte Einflussnahme der Politik in die Wirksphäre freier Unternehmen. All das in einer Grauzone der Rechtsstaatlichkeit. Diese Vorfälle sind fraglos ein weiterer Sargnagel der Demokratie.

 Spannend ist hier - wie so häufig - die Synchronizität, d.h. die Gleichzeitigkeit gewisser Vorfälle:

Kurz nachdem die Militärprotokolle zu den Kriegen im Irak und in Afghanistan bei Wikileaks veröffentlicht wurden, ging es los mit massiven Versuchen der Diffamierung und  Einschüchterung des Wikileaks-Gründers Julian Assange. Plötzlich wurden Vergewaltigungsvorwürfe aus dem Hut gezaubert, die den bösen Beigeschmack in sich tragen, dass es hier in Wirklichkeit nur darum geht, einen unbequemen Staatsbürger mundtot zu machen und zu kriminalisieren.

(vgl.: US-Behörden setzen WikiLeaks-Aktivisten unter Druck und: Haftbefehl gegen WikiLeaks-Chef aufgehoben)

Man kann sich gut vorstellen, was da genau ablief: Herr Assange amüsierte sich in einem Stockholmer  Lokal, als sich ihm zwei Blondinen an den Hals warfen und ihn nach hause begleiteten. Was dort geschah bleibt selbstredend im Dunkeln und Aussage wird gegen Aussage gestellt. Die Wirkung: Diskreditierung und Kriminalisierung. Ein Schelm, wer böses dabei denkt: Ein Zufall ist die Gleichzeitigkeit der Veröffentlichung der Protokolle und diese Anschuldigungen wohl eher nicht.

Eine neue Qualität bekam diese Affäre dann mit der Veröffentlichung der diplomatischen Depeschen: Passenderweise wiederum kurz darauf wurde der Fall zu einem Fall der Interpol gemacht. Und  spätestens an dieser Stelle muss selbst dem dumpfesten Zuschauer auffallen, dass all diese Vergewaltigungsvorwürfe nur eine fadenscheinige Inszenierung sind.

(vgl.: Interpol erlässt Haftbefehl gegen WikiLeaks-Gründer)

Eine weitere Steigerung erfuhr diese Affäre dann dadurch, dass Hr. Assange ankündigte, in den kommenden Monaten Datensätze zu veröffentlichen, die Interna einiger Großbanken offenlegen würden (vgl.: Wikileaks nimmt US-Bank ins Visier). Damit kratzte er an den Grundfesten des Systems, welches, wie auf diesen Seiten dargelegt wird, ganz eng mit den Privilegien der Banken verbunden ist. Die Reaktionen dieser Ankündigungen folgten dann auch sogleich auf dem Fuße: die Bekämpfung von Wikileaks nimmt in diesen Tagen  Ausmaße an, die man selbst beim besten Willen nicht anders als massive Zensur begreifen kann, wie sie etwa auch in der DDR oder anderen totalitären Staaten stattfand und -findet.

Der Krieg gegen Wikileaks wird dabei auf allen Ebenen geführt. Zum Einen wird mit allen möglichen technischen Mitteln (etwa mit massiven Hackerattacken) vorgegangen, von denen man nur ahnen kann, wer sie organisiert. Dass derartige Attacken im rechtsfreien Raum stattfinden, braucht nicht erwähnt zu werden. Wer auch immer sie führen mag: Es handelt sich um kriminelle Akte und eine Diskussion über ihre Rechtmäßigkeit erübrigt sich.

Zum Anderen setzen die Regierenden alle ihnen zur Verfügung stehenden Mittel ein, um jegliche Unterstützung von Wikileaks zu unterbinden. Das geht bis hin zur aktiven Einflussnahme von Regierungsorganen auf vermeintlich freie Unternehmen.

Um die Menschen zu beruhigen und diesen "Maßnahmen" eine Rechtfertigung zu verleihen wird in der Öffentlichkeit dann mit scheinbar „vernünftigen“ Argumenten gegen Wikileaks polemisiert. Da heißt es dann, die Veröffentlichungen der diplomatischen Depeschen würden Menschenleben gefährden (da werden dann oft „gefährdete Menschenrechtler“ genannt, wohl um dem Ganzen einen ethischen Anstrich zu verleihen), ja, sie würden  womöglich Kriege auslösen. Desweiteren stellten derartige Veröffentlichungen eine Verletzung der Privatsphäre dar und seien damit illegal – und von daher sei es richtig, sie zu verbieten.

(vgl.: Amazon kappt Verbindung zu WikiLeaks / WikiLeaks-Domain abgestellt / Schweizer Bank kündigt Assanges Konto)

Dabei ist es für jeden Menschen mit einigermaßen gesundem Menschenverstand offensichtlich, dass derlei Gerede schlichtweg dummes Zeug ist.

Thema "Gefährdung von Menschenleben": Zum Einen wurde in diesen Depeschen nichts gesagt, was sowieso nicht jeder schon weiß:  Offensichtlichkeiten wie die Tatsache, dass unsere Bundeskanzlerin ein phantasieloser Klotz und ihr Außenminister schlichtweg unfähig ist, sind ja nun wirklich nicht neu. Aber auch vermeintlich brisantere „Enthüllungen“ entpuppen sich bei näherem Hinsehen als lächerliche Trivialität: Dass die amerikanische und die iranische Staatsführung sich nicht besonders mögen, und dass sie sich von daher gegenseitig nicht mit Nettigkeiten überschütten, ist ebenfalls keine Neuigkeit, genauso wenig, wie irgendwelche Animositäten zwischen Staatsführern des Nahen Ostens oder sonstwo in der Welt. Bei all diesen Leuten handelt es sich um professionelle Politiker, die sowieso wissen, was sie voneinander zu halten haben, und die zudem handfeste Interessen haben, die sie gewiss nicht ihrer Eitelkeit opfern würden. Ein Krieg wird durch die Bekanntgabe derartiger Dinge gewiss nicht entstehen - es sei denn, er war sowieso schon geplant.

Auch der Vorwurf der Verletzung der Privatsphäre ist mehr als fadenscheinig: Diplomaten sind keine Privatpersonen, wenn sie ihren Beruf ausüben, sondern Angestellte des Staates – und damit des Volkes. Dass das Volk aber durchaus ein Interesse und auch ein Recht besitzt, die Aktivitäten dieser Leute mitgeteilt zu bekommen, entspricht einfach nur dem demokratischen Prinzip. Spannend ist hier auch zu beobachten, dass viele jener Leute, die jetzt über die „verletzte Privatsphäre“ klagen, in anderen Fällen die Verletzung der Privatsphäre der Bürger mit Wohlwollen hinnehmen, bis etwa hin zur Tatsache, dass aus der Haft entlassene Sexual- und andere Straftäter (im Internet) an den öffentlichen Pranger gestellt werden und wie Hexen gejagt werden, wie es in den USA und England vielerorts gängige Praxis ist.

Die Fadenscheinigkeit der gegen Wikileaks vorgebrachten Vorwürfe liegt also auf der Hand. Die entscheidende Frage aber ist: Woher rührt denn wirklich die Vehemenz, mit der Wikileaks jetzt sogar von den höchsten Staatsorganen mit unlauteren Mitteln bekämpft wird?

Eigentlich ist es offensichtlich:

Worum es hier geht, ist, dass durch die Aktionen von Wikileaks auf einmal jeder gewöhnliche Mensch Zugang zu Informationen über Machenschaften bekommt, die ihn zwar direkt betreffen, die aber sonst nur im Dunkeln gemunkelt werden. Das könnte aber Interesse an diesen Dingen wecken und womöglich bewirken, dass der brave Bürger aus seinem Propaganda-Tiefschlaf aufwacht und beginnt, selbst  nachzudenken.  Am Ende könnte ihm bewusst werden, dass er als mündiger Bürger sich selbst ein Urteil bilden und Entscheidungen treffen kann und auch soll. Vor nichts aber haben gewisse  Kreise mehr Angst als vor einem mündigen Bürger. Der Kaiser hat Angst, man könne erkennen, dass er nackt ist.

Dass die ganz große Härte, mit der gegen Wikileaks vorgegangen wird, dann aber direkt auf die Ankündigung folgte, es würden demnächst Interna großer Banken veröffentlicht werden, weist dann auch ziemlich präzise darauf hin, was genau es ist, was der Bürger nicht hinterfragen und verstehen soll: Es sind die Spielregeln der Banken, die das aktuelle, betrügerische Wirtschaftssystem tragen, einzig und alleine darauf ausgelegt, eine winzige Minderheit auf Kosten der Allgemeinheit  zu bevorteilen.

 

 

Anmerkung: Dieser Text unterliegt ausdrücklich nicht dem Urheberrecht, sondern darf nach Belieben vervielfältigt, verbreitet, verlinkt, übersetzt und zitiert werden.

 

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