(Einleitender Hinweis: Viele Menschen mögen das im Folgenden ausgeführte Prinzip als völlig trivial und seine Erläuterung deshalb als überflüssig empfinden. Dass es das aber nicht ist, sieht man alleine schon daran, dass es wesentlichen Teilen der Bevölkerung offensichtlich völlig unbekannt ist - sonst gäbe es die aktuelle Gesellschaftskrise nämlich gar nicht.)
Bevor man nach konkreten Lösungen für diese Krise sucht, sollte man sich das übergeordnete Prinzip in Erinnerung rufen, welches die einzige Basis einer jeden möglichen Lösung bilden kann: Das Prinzip der Teilhabe
Es besagt, dass eine Gesellschaft umso erfolgreicher ist, je höher der Anteil der Menschen ist, die an ihr teilhaben, indem sie sich konstruktiv in sie einbringen.
Konstruktiv einbringen bedeutet: Die eigenen Fähigkeiten möglichst engagiert und "vom Herzen getragen" zu entfalten und in der Gesellschaft wirken zu lassen. Jeder, der sich so einbringt, verspürt auf persönlicher Ebene ganz automatisch das, was gemeinhin „Glück“ oder „Erfüllung“ genannt wird (nicht zu verwechseln mit „Spaß“, jenem Glückssurrogat, das die Menschen sich in Form von Drogen, Extremsportarten, Computerspielen und ähnlichem verabreichen)
– und es ist letztendlich nichts anderes, als jenes wohl jedem Menschen bekannte Gefühl, gebraucht zu werden.
Und wohlgemerkt: Es geht hier gar nicht primär um politisches Engagement, sondern um jede Art konstruktiver Tätigkeit! Man könnte es auch "Arbeit" nennen - aber nicht die automatenhafte Fronarbeit dessen, der im Hamsterrad sitzt, sondern um wahre Arbeit, also jene, die den eigenen Neigungen, Interessen, Bedürfnissen entspringt. Und auf gesellschaftlicher Ebene ist dieses Engagement dann eben als „Leistung“ wirksam, die, fast schon als Nebenprodukt,
dann
auch der Allgemeinheit zugute kommt. Und zwar in dieser Reihenfolge.
Genau das ist hier mit „Teilhabe“ gemeint: Teilhabe am gesellschaftlichen Geschehen.
Umgekehrt wird ein Schuh daraus:
Je geringer der Anteil der Menschen, die an einer Gesellschaft in diesem Sinne teilhaben, desto brüchiger wird sie. Am Ende kollabiert sie.
Das Spannende an der Sache: Es kommt dabei eben gerade nicht auf die schiere Größe einer Gesellschaft an, sondern lediglich auf den prozentualen Anteil jener Menschen, die sie in obigem Sinne aktiv tragen. Selbst relativ kleine Gesellschaften können sich zu großer Blüte aufschwingen, solange sie dem Prinzip der Teilhabe folgen. Damit geht es letztendlich um die Qualität einer Gesellschaft – und folglich um die Qualität der Menschen, die sie bilden.
Qualität heißt hier: Sind es Menschen, die neue Projekte anstoßen und Engagement zeigen, oder Menschen, deren Dasein sich auf Konsum und Bequemlichkeit beschränkt? Sind es Menschen, die auf ihr Gewissen hören, oder Menschen, die sich unterordnen? Sind es Menschen, die jeder Ablenkung folgen, oder solche, die ernsthaft bei der Sache sind? Sind es Menschen, die spüren, was und warum sie etwas tun, oder handeln sie nur aus Gewohnheit, Bequemlichkeit und Gehorsam?
Man könnte auch einfach fragen: Handelt es sich um Menschen oder um Zombies?
Fehlt diese Qualität, bricht erfahrungsgemäß der ganze Laden zusammen – egal, welche äußere Form er besitzt, ob „theokratisch“, „kapitalistisch“, „kommunistisch“, „faschistisch“ usw.. Ideologien jeglicher Couleur erweisen sich spätestens hier als reine Hirngespinste, die vom Wesentlichen ablenken.
Das Spannende an dieser Sache: Am Ende, wenn die Gesellschaft zusammenbricht, wird es nur Verlierer geben. In dem Moment, wo „die da oben“ glauben, sie könnten „die da unten“ nach Belieben herumschubsen und manipulieren, und sobald „die da unten“ meinen, es sich mit einer Flasche Bier vor der Glotze bequem machen zu können, im Vertrauen darauf, dass „die da oben“ es schon richten werden, fällt das Haus in sich zusammen. Und das betrifft dann alle gleichermaßen.
Der Volksmund weiß es übrigens bereits seit langem: Eine Kette ist so stark, wie ihr schwächstes Glied – auch dies ist eine Formulierung des Prinzips der Teilhabe. Das „schwache Glied“ ist dabei stets der Mensch, der nicht mehr aktiv am Geschehen teilnimmt – und zwar egal, ob es an seinen Möglichkeiten oder an seiner Bequemlichkeit liegt.
Interessant ist es an dieser Stelle, den Gegenspieler des besagten Prinzips zu betrachten:
Das Prinzip der Ausgrenzung.
Auch seine Wirksamkeit lässt sich leicht festmachen: Findet Ausgrenzung statt, so entstehen anstelle des oben beschriebenen Gefühls, gebraucht zu werden, nur Frustration, Aggression und in der Folge Krieg und Zerstörung – die höchstens im Rahmen einer Diktatur mit Gewalt zeitweilig in Zaum gehalten wird.
Dass es dennoch Menschen gibt, die diesem Prinzip folgen, liegt an einem massiven Selbstbetrug, der darin besteht, sich vorzumachen, die eigene „Leistung“ sei mehr (oder im anderen Falle: weniger) wert als die Leistung des Anderen, und das daraus und aus ihrer faktischen Macht (Ohnmacht) abgeleitete Recht, ihn (sich) auszugrenzen – sei es durch Ausübung (Hinnahme) von religiöser / rassischer / sexueller Diskriminierung, Entrechtung, Entzug der materiellen Basis – bis hin zu körperlicher Gewalt.
Alle sogenannten „unterentwickelten Länder“ sind Länder, in denen genau diese Haltung zum Tragen kommt – und häufig wundern sich dann sowohl die „Eliten“ als auch die „Underdogs“ dieser Länder selbst, warum ihr Land bei allem potenziellen Reichtum auf keinen grünen Zweig kommt, sondern in Kriminalität und Bürgerkrieg versinkt. Selten allerdings ziehen sie die richtigen Konsequenzen. Aber auch in „entwickelten“ Ländern kann man diesen Zusammenhang beobachten, wie nicht zuletzt die jüngsten Krawalle in Großbritannien
beweisen.
Natürlich könnte es sein, dass es sich bei den hier dargelegten Betrachtungen einfach nur um das Hirngespinst eines Träumers handelt. Alleine aber schon ein unbefangener Blick auf die Geschichte zeigt, dass das Prinzip der Teilhabe der eigentliche rote Faden in der Entwicklung der Menschheit ist, und nicht nur das: Es ist das Maß, welches auch heute noch über gesellschaftlichen Erfolg oder Misserfolg, Fortschritt oder Rückschritt entscheidet.
Fast beliebig sind die historischen Beispiele, bei denen man dieses Prinzip am Werke sieht:
1. Beispiel: Was ist so besonders am antiken Griechenland? Es ist vor Allem die Erfindung der Demokratie. Klar, es war aus heutiger Sicht eine sehr eingeschränkte Art der Demokratie (nur für „freie Männer“ oder so ähnlich) – aber immerhin: Zum ersten Mal wurde das Prinzip angewandt, dass jeder Beteiligte das Recht habe, sich politisch einzubringen und am Gemeinwesen mitzuwirken. Die Folge dieser Neuerung war eine bis heute wirkende Blüte der Kultur. Der düstere Aberglaube früherer Völker wurde durch die
Bemühung um Klarheit und aktive Beteiligung des einzelnen Bürgers ersetzt. Parallel dazu wurde die Qualität des Menschen als aktives, selbstverantwortliches Wesen gepflegt: Sport und Wissenschaft waren mehr als nur Zeitvertreib und Mittel zur Herstellung irgendwelcher technischer Geräte. Es ging um die Ausbildung des Menschen – um jenen Menschen, von dem die Demokratie lebte, um jenen Menschen, der daran teilhatte. Dieses zahlenmäßig eher unbedeutende Völkchen der Griechen strahlte auf diese Weise weit über seine
Grenzen und seine Zeit hinaus.
2. Beispiel: Das Römische Reich verstand sich und seine Staatsform bei seinem Aufstieg als „res publica“, als öffentliche Sache, als Gemeinwesen also. Jeder war aufgefordert, daran teilzunehmen und dazu beizutragen, jeder profitierte von ihren Errungenschaften: Eine funktionierende Bürokratie, eine bis dahin beispiellose Infrastruktur, ein für die Allgemeinheit zugänglicher Wirtschaftsraum. Zwar gab es noch Sklaverei und andere aus heutiger Sicht „primitive“ Auswüchse - aber die gab es in anderen, den
Römern
benachbarten Gesellschaften sowieso, nur dass es dort noch nicht diesen Gedanken der Republik gab. Wie ein Dynamo trieb diese Staatsform das Engagement der Menschen an, was dazu führte, dass Rom zu einem Weltreich aufstieg. Sein Zerfall begann (anders als die Geschichtsbücher uns heute weismachen wollen) bereits mit der Einführung des Kaisertums. Zwar wuchs in den ersten Folgejahren Roms Macht dann zunächst noch ein Bisschen, basierend auf den in „guten Jahren“ aufgebauten Strukturen, jedoch verfiel sie nach
einem Höhepunkt zunehmend, bis irgendwann ein Häuflein Germanen und andere Invasoren seinen Zusammenbruch besiegelten. Was war geschehen? Die römische Kultur hatte sich vom Prinzip der Teilhabe verabschiedet, und war zu einem von Despotismus und Raffgier zerfressenen Gebilde geworden, das beim kleinsten Windhauch in sich zusammenfiel. Da hatten selbst diese „Barbaren“ mehr Kraft, da innerhalb ihrer schlicht organisierten Horden das Prinzip der Teilhabe noch über mehr Lebendigkeit verfügte als in dem großen, korrupten,
dem Bürger entfremdeten Kaiserreich.
3. Beispiel: Auch das Christentum ist so zu sehen. Seinen Aufstieg verdankte es der Idee der Bergpredigt, wonach auch die Armen und Schwachen vor „Gott“ wertvoll seien. Dies war nichts anderes als eine konsequente Formulierung des Prinzips der Teilhabe. Diese revolutionäre Idee fiel in dem dekadenten spätrömischen Reich auf äußerst fruchtbaren Boden und gewann rasch an Zulauf. Es war dann nur noch eine Frage der Zeit, bis es zur dominierenden Gesellschaftsform wurde. Und auch im mittelalterlichen Mitteleuropa stellte diese Idee eine fortschrittliche Neuerung dar, denn sie setzte der Willkür irgendwelcher blutrünstiger Stammeshäuptlinge insofern Grenzen, als eine allgemeingültige Instanz eingeführt wurde, auf die sich im Prinzip jeder Gläubige berufen konnte („Vor Gott sind alle gleich“ / Und in manchen Ländern dieser Erde erfüllt die Kirche heute noch diese Funktion, weshalb sie dort auch nach wie vor Zuspruch findet.). Weiterhin bildete das christliche Klosterwesen im mittelalterlichen Europa so etwas wie eine Infrastruktur,
deren Türen jedem Interessierten offenstanden, und wo Schrifttum, handwerkliches Können, Medizin, Kunst und Wissenschaft – sprich: Kultur – praktiziert und gelehrt wurden. Der Niedergang des Christentums folgte dem Größenwahn des Papsttums dann auf dem Fuße. Auf einmal geschah das, was zuvor schon im römischen Reich passiert war: irgendwelche „Eliten“ setzten sich mit ihren Machtspielchen von der Allgemeinheit ab, wurden egoistisch, grenzten alles aus, was ihre Position gefährdete. Die Spaltung der Kirche war
die eine Reaktion auf diese Entwicklung, die Aufklärung die nächste, viel durchgreifendere. Die Menschen wandten sich ab von einem System, das sie zunehmend vom Geschehen ausschloss.
4. Beispiel: Mit der Aufklärung wurde in Nordamerika und Europa die Idee der Demokratie wieder aufgegriffen, dieses Mal sogar in noch umfassenderer Weise als es bei den Griechen der Fall gewesen war. Die sich auf alte kirchliche Strukturen stützenden Monarchien Europas wurden ersetzt durch Gesellschaften, in denen „das Volk“ mehr oder weniger viel Mitsprache besaß, mal in der Form einer Republik, mal als „aufgeklärte Monarchie“. Auf einmal gab es Parlamente, die diesen Namen verdienten, gab es eine gemeinsame
Sprache für Regierungen und Regierte, gab es Universitäten, die das Wissen unters Volk brachten usw.. Es begann ein Prozess, der sich mit der Einführung von Sozialsystemen, Frauenwahlrecht, allgemeiner Schulpflicht und vielem mehr über etliche Jahrhunderte fortsetzte. Das dahinterstehende Prinzip war stets dasselbe: die Ermöglichung der Teilhabe immer größerer Bevölkerungsanteile am gesellschaftlichen Geschehen. Der Erfolg dieser Entwicklung ist heute sichtbar als eine Gesellschaft nie gekannter Komplexität,
Freizügigkeit und Reichtum – mit einer Ausstrahlungskraft die den gesamten Planeten erfasst hat.
5. Beispiel: Auch kurzfristige, eher chaotisch anmutende Phänomene der Geschichte lassen sich mit diesem Prinzip verstehen. So war etwa auch der beispiellose Siegeszug Alexanders des Großen eine Äußerung dieses Prinzips – obwohl er sich bald als ein reines Strohfeuer entpuppte: Sein Häuflein makedonischer Soldaten wurde befeuert vom Gefühl, an einer großen Sache teilzuhaben. Da ging es zum Einen sicherlich um schiere Beutegier und Abenteuerlust, zum Anderen aber auch um das Gefühl, etwas großes zu bewirken,
an
einer wichtigen Mission teilzuhaben. Diese Motivation jener kleinen Gruppe von Kämpfern ließ irgendwelche dekadenten asiatischen Großreiche, die sich gerade auf der Entwicklungsstufe des zerfallenden römischen Reiches befanden, in sich zusammenbrechen wie Kartenhäuser. Dass dieser makedonische Haufen sich dann recht bald selbst auflöste, lag schlichtweg daran, dass er seinerseits Führerwillkür und Größenwahn erlag - beides Ausprägungen des Prinzips der Ausgrenzung.
6. Beispiel: Ähnlich ist auch das sogenannte „dritte Reich“ von Adolf Hitler zu verstehen. Auch damals vermittelte jener „Führer“ seinem „Volk“ das Gefühl, in dieser Gesellschaft gefragt zu sein, indem er das Engagement der Menschen durch flammende Reden und einfache Lösungen einzufordern wusste. Sie lohnten es, indem sie eine erstaunliche Effektivität an den Tag legten. Der Grund: Sie hatten dabei das Gefühl, an etwas ganz Großartigem teilzunehmen, dabeizusein, gefragt zu sein. Es war dies eine
ganz perfide
Anwendung des
Prinzips
der Teilhabe. Dass diese Gesellschaftsform aber bereits bei ihrer Entstehung den Keim der Selbstzerstörung in sich trug, lag ganz einfach daran, dass die scheinbare Einbeziehung großer Bevölkerungsteile im „National-Sozialismus“ darauf beruhte, dass ein noch größerer Teil (nämlich die gesamte „nichtarische“ Welt) ausgegrenzt und bekämpft wurde. Es war eine Fälschung, könnte man dazu sagen.
7. Beispiel: Nicht zuletzt ist die Geschichte des Ostblocks bzw. des Kommunismus ein weiteres Beispiel für die Wirksamkeit dieses Prinzips. Hatte die kommunistische Idee zu Beginn großen Zulauf, da sie genau das versprach, worum es hier geht, so verlief sie sich recht bald wieder, da sie das Versprochene nicht einhielt. Vielmehr versackte sie in einem Zustand, in dem eine Parteinomenklatura sich hinter Kasernenmauern verschanzte und den Menschen Dinge vorschrieb, ohne sie in die Entscheidungen einzubeziehen.
Gegner wurden aktiv bekämpft. Die Folgen sind bekannt. Die Ursache für den Zusammenbruch des sog. Ostblocks ist nicht in der häufig kolportierten „Mangelwirtschaft“ zu suchen, sondern in der Ausgrenzung großer Bevölkerungsteile und dem dadurch bewirkten Absterben ihrer Motivation, sich zu engagieren.
Wenn man sich all diese Beispiele anschaut – und es gäbe noch viel mehr davon – dann fällt ganz offensichtlich auf, dass sie alle eines gemeinsam haben: Eine gesellschaftliche Unternehmung war immer so lange „erfolgreich“, wie sie dem Prinzip der Teilhabe folgte. Der Niedergang setzte stets dann ein, sobald es missachtet wurde. Alle sonstigen Faktoren, die in den Geschichtsbüchern als Ursachen für den Untergang einer Gesellschaftsform hergenommen werden, kann man getrost als
untergeordnet
abtun, da es sich hier höchstens
um Auslöser für den Zusammenbruch von ohnehin geschwächten Gesellschaften handelte.
Kurzum: Das Prinzip der Teilhabe ist so etwas wie eine Gesetzmäßigkeit, anhand derer man die Tragfähigkeit einer Gesellschaftsform recht zuverlässig beurteilen kann - und ist weder „gut“ noch „schlecht“, sondern einfach nur ein Faktum.
Diese Gesetzmäßigkeit gilt natürlich auch heute noch: Die Krise, die wir gerade erleben, ist eine Folge der Nichtbeachtung dieses Prinzips – sowohl seitens derer, die sich für „Elite“ halten, als auch derer, die sich als „Unterprivilegierte“ sehen. Beide Seiten müssen aber auf der Basis dieses Prinzips zusammenfinden, und zwar jeder entsprechend seiner Möglichkeiten. Anderenfalls gibt es eine Katastrophe ungeahnten Ausmaßes.
Bei all dem muss man eine Sache verstanden haben: Das Engagement (und damit das Glück) des Einzelnen und der Erfolg einer Gesellschaft sind nicht zwei Phänomene, die einander nur bedingen: Sie sind im Kern dasselbe!
Berlin, 19.08.2011
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