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Zum Krisenverlauf: Stand im Dezember 2011

 

Zur Erinnerung: Wer noch vor einem Jahr behauptete, womöglich würde in naher Zukunft der Euro existenziell in Frage gestellt sein, wurde damals als schwarzsehender "Verschwörungstheoretiker" abgetan und bestenfalls belächelt. Inzwischen wird allerdings genau dieser Fall vom sogenannten "Mainstream" ernsthaft diskutiert: Medien, Wissenschaftler, Politiker produzieren eine Kakophonie ohnegleichen. Kein Szenario erscheint jetzt mehr unwahrscheinlich - und da ist kein normal fühlender Mensch mehr, der nicht zumindest ahnen würde, dass hier womöglich grundlegende Umwälzungen bevorstehen.

Aus dieser Entwicklung kann man vor Allem eines herauslesen: Der Verlauf der Krise hat sich offensichtlich weiter beschleunigt. Praktisch an jedem neuen Tag tauchen neue Hiobsbotschaften auf, und man hat den Eindruck, dass das öffentliche Bewusstsein den Dingen nurmehr hinterherhechelt. Es geht Schlag auf Schlag. Irland, Griechenland, Portugal, Italien, Spanien, absehbar auch Frankreich und Deutschland: Man sollte hier weniger von einer Reihe umfallender Dominosteine sprechen, als vielmehr von einer Lawine. Dass sich die Krise beschleunigen würde ist aber für den, der ihre Ursache verstanden hat, nicht weiter überraschend. Tatsächlich hat dies einen sogar mathematisch nachvollziehbaren Grund.

Das geltende Geldsystem bedingt zwangsläufig, dass Schuldenlasten mit exponentiellem Verlauf wachsen. Es geht gar nicht anders: Bestehende Schulden (und Vermögen) bewirken durch Zins und Zinseszins neue Schulden (und Vermögen). (An dieser Stelle muss darauf hingewiesen werden, dass es hier eben nicht, wie allseits kolportiert, um eine reine "Schuldenkrise" geht, sondern im selben Maße um eine Vermögenskrise: Wachsende Vermögensanhäufungen bedingen, dass vermehrt Schulden gemacht werden - da Geld nach den geltenden Spielregeln ausschließlich durch Schulden erschaffen und in Umlauf gebracht wird). Und diese Entwicklung funktioniert eben nur auf der Basis einer sogenannten e-Funktion, d.h. einer Verlaufskurve folgend, deren Steilheit immer ausgeprägter wird.

In den Naturwissenschaften beschreiben derartige Funktionen alle möglichen Wachstumsprozesse, beispielsweise die Vermehrung von Hefebakterien in einer Zuckerlösung. In der Natur können solche Wachstumsprozesse aber nur für einen bestimmten Zeitraum ablaufen. Bedingt durch gewisse Gesetzmäßigkeiten müssen sie irgendwann zum Erliegen kommen - in unserem Beispiel, wenn der Alkoholgehalt der gärenden Zuckerlösung ein bestimmtes Maß übersteigt, und deshalb die Bakterien absterben.

Das kann man genau so auch auf unser Wirtschaftssystem übertragen. Auch hier ist es so, dass der Prozess des Wachstums von Vermögen und Schulden zwangsläufig zu einem Ende kommen muss. Der bremsende Faktor (also der "Alkoholgehalt") liegt hier in der schwindenden Glaubwürdigkeit der geltenden Spielregeln - Spielregeln, die ganz offensichtlich nicht mehr in der Lage sind, einen Bezug zur Realität des Planeten und der Menschen darauf herzustellen. Schulden, die nie zurückgezahlt, und Vermögen, die niemals eingelöst werden können, besitzen in den Augen eines klar denkenden Menschen keinerlei Substanz, und damit ist ein Wirtschaftssystem, das sich über diese beiden Dinge definiert, nicht mehr glaubwürdig. Und da Glaubwürdigkeit und Vertrauen die einzige Basis unserer Wirtschaftsordnung darstellen, bedeutet diese Entwicklung das faktische Ende ihrer Existenz.

Genau an diesem Punkt befinden wir uns gerade: Immer wichtigere Eckpfeiler unserer Gesellschaftsordnung werden in Frage gestellt - und dies mit immer größerer Geschwindigkeit.

Die einzige richtige Antwort wäre an dieser Stelle eine grundlegende Korrektur der Spielregeln durch die Politik - ansetzend an der Art und Weise, wie Geld geschaffen und in Umlauf gebracht wird. Doch leider sieht die Realität derzeit völlig anders aus: An keiner Stelle ist zu erkennen, dass auch nur ansatzweise die grundlegende Ursache der Krise angegangen würde. Vielmehr wird derzeit alles getan, um das bestehende Regelsystem bis aufs Äußerste auszureizen und am Leben zu erhalten, mit der absehbaren Folge, dass der anstehende Zusammenbruch umso härter ausfällt.

Die Ursache der Krise wird von den politischen Akteuren offensichtlich nicht verstanden - oder aber böswillig verleugnet.

Zum Einen sieht man das schon an der Art, wie die Krise benannt wird: In diesen Tagen ist zumeist von der "Eurokrise" die Rede (gestern war es noch die "Lehman-Krise"). Dass das, was im europäischen Wirtschaftsraum passiert, aber nur eine Ausprägung (von vielen) der grundlegenden Systemkrise ist, wird dabei bewusst oder aus Dummheit unterschlagen. Tatsächlich ist der Euro-Raum lediglich angreifbarer als andere Wirtschaftsräume - und wie bei einem brennenden Haus bricht das weltumspannende Geldsystem zuerst an der Stelle zusammen, an der die größten Anfälligkeiten sind - das ändert aber nichts daran, dass auch der Rest des Hauses vernichtet wird (Und übrigens verhält es sich innerhalb des Euro-Raums genauso: schwächere Volkswirtschaften wie Griechenland trifft es zuerst, die anderen folgen aber auf dem Fuße.) Und wer sich etwa die USA anschaut, dem sollte klar sein, dass es dort hinsichtlich Schulden und sozialer Verwerfungen kein bisschen besser aussieht als in Europa.

Desweiteren sieht man es an den Reaktionen der Politik auf die Entwicklung: Da werden zu irgenwelchen Symptomen irgendwelche Pseudolösungen aus dem Hut gezaubert, die bei der nächsten Hiobsbotschaft wieder revidiert werden. Es agiert kein Sachverstand, sondern Panik. Panik aber ist stets ein Zeichen von Unverständnis. Dabei wird in Kauf genommen, dass mit einem Augenzwinkern Billionen von Euro mal eben unter dem Ladentisch durchgereicht werden, ohne dass es dafür irgendeine Legitimation oder Kontrolle gäbe. Es heißt dann, dies sei "systemrelevant" - was auch tatsächlich stimmt, aber eben auch die Richtung anzeigt, in die es geht: es findet keine Hinterfragung des Systems statt, sondern seine Versteinerung.

Und damit zeigt sich dann auch schon der brisanteste Aspekt der aktuellen Entwicklung: Die Krise befindet sich in einer Phase, in der die Demokratie mehr und mehr zu Grabe getragen wird - zugunsten der Festigung des bestehenden Wirtschaftssystems. Klar ist aber: Viel schlimmer als eine untergehende Währung ist der langsame Tod der Demokratie!

Und dass genau dies stattfindet, sieht man etwa daran, dass es Usus geworden ist, sogenannte "Expertenregierungen" in besonders krisengeschüttelten Ländern wie Griechenland oder Italien einzusetzen fernab jeglicher demokratischen Legitimation (und die unterdrückte Volksabstimmung in Griechenland ist da ein besonders augenfälliges Beispiel, wie so etwas abläuft). Wer diese "Experten" dann sind, ist unschwer zu erkennen: Nicht selten handelt es sich um Insider irgendwelcher Großbanken oder ähnlicher Organisationen. Aber nicht nur in den genannten Ländern ist das so: Fast überall finden sich Beispiele der Einflussnahme einschlägiger Interessengruppen auf die Arbeit von Regierungen - in Form von Beratern, "Think-Thanks", Anwaltsbüros, die Gesetzestexte formulieren. Jeglicher Ansatz zu echten Reformen wird so im Keime erstickt.

Ganz besonders gut kann man das an dem neuen EZB-Präsidenten Draghi beobachten, der - wen wundert es? - ehemaliger Vizepräsident von Goldman-Sachs ist: Eine seiner ersten Amtshandlungen bestand (von den allermeisten Medien unkommentiert) dann auch darin, die Mindestreserve im Euro-Raum von zwei auf ein Prozent zu halbieren. Die Richtung, auf die diese Maßnahme abzielt, ist eindeutig: Das bestehende kranke Geldsystem bekommt noch einmal ein Medikament verabreicht, um es noch ein wenig aufzupumpen, sein Leben noch ein bisschen zu verlängern. Da ist auf weiter Flur kein Wille zur Heilung, also zu Einsicht und produktiver Korrektur, erkennbar.

Zusammengefasst muss man also zum derzeitigen Stand der Krise sagen, dass sie sich noch im Stadium der Zuspitzung befindet. Diese Zuspitzung besteht darin, dass das bestehende Wirtschaftssystem mehr und mehr verhärtet - eine Verhärtung, die sich außer in der Verarmung immer breiterer Bevölkerungsschichten vor Allem in der immer schnelleren Erosion des politischen Systems äußert.

 

Berlin, 22.12.2011

 

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